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Newsbeitrag

„Wie kann ich etwas darstellen, das nicht sichtbar ist?“

21.03.2024

Beim Medienpanel „Zum Vergessen!“ ging es um die bildliche Darstellung von Demenz in Print- und Onlinemedien im Spannungsfeld zwischen journalistischem Anspruch, Leserorientierung und redaktionellem Alltag.

Einblicke in ihre Arbeiten mit Fotografien von Demenz gaben beim Medienpanel Anfang März vier Vollprofis: Michael Gottschalk, Head of Content bei der Bildagentur dpa Picture-Alliance, Jutta Schein vom Leitungsteam der Bildredaktion Die Zeit, der freie Fotograf Armin Smailovic und Andreas Trampe, Senior Photo Editor bei der Zeitschrift Stern. Der Soziologe und Journalist Burkhard Plemper moderierte den Austausch. Unter den knapp 30 Teilnehmenden waren Verantwortliche aus Bildredaktionen sowie aus Pressefoto- und Bildagenturen, Bildjournalisten und Pressefotografen. Zum Austausch unter Profis eingeladen hatte der Verein Desideria, München. Er will Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen Mut machen und Stigmatisierung und soziale Isolation verhindern.

Die Palette der Themen war breit: Reale Bilder versus Illustrationen? Illustrationen als Mittel der Wahl für kritische und komplexe Betrachtungen? Welche Bilder eignen sich für die Sensibilisierung und Wahrnehmung von Demenz als Krankheit und soziokulturelles Phänomen? Sind anonymisierte Bilder eine Lösung? Wie steht es um die Bildrechte? Angesprochen wurden zudem ethische Fragen und mit welcher Haltung Fotografen sich ihrem Motiv nähern. Dabei sei die Volkskrankheit Demenz mit 1,8 Mio. Betroffenen als gesellschaftliche Herausforderung zu betrachten und nicht als individuelles Schicksal, regte Moderator Burkhard Plemper an.

In einem waren sich alle Teilnehmenden der eineinhalbstündigen Diskussion einig: Zu wenig Zeit im redaktionellen Alltag und knappe finanzielle Ressourcen sind limitierende Faktoren für eine tiefer gehende, ausgewogene bildliche Darstellung von Demenz in den Medien. „Gerade bei tagesaktuellen Medien, gibt es einen hohen Druck. Es fehlt die Zeit, sich in die Bebilderung einer Geschichte wirklich so einzuarbeiten, dass man am Ende ein visuelles Konzept oder ungewöhnliche Idee entwickelt“, stellte Michael Gottschalk fest. Hinzukommend beeinflussten Aspekte der Leserführung die Auswahl eines Motivs. „Aufmerksamkeit bekomme ich nur, wenn ich ein besonderes Bild zeige. Es entsteht immer eine Gratwanderung zwischen einem inhaltlich richtigen und optisch ansprechenden Bild und einem einfach nur aufmerksamkeitsheischenden, aber nicht korrekten Foto“, räumte Andreas Trampe ein.

Grundsätzlich wurde die Problematik erörtert, wie Demenz darzustellen sei. Welches Bild machen wir uns von Menschen mit Demenz, fragte Moderator Burkhard Plemper. Haben wir einen schwerstpflegebedürftigen Menschen in einem fortgeschrittenen Stadium vor Augen? Oder eine Person mit Orientierungsschwierigkeiten im Alltag? Steht das Medizinische im Vordergrund oder die gesellschaftliche Teilhabe? Jutta Schein näherte sich dem Thema auf verschiedenen Ebenen: „Wie kann ich etwas darstellen, was eigentlich nicht darstellbar ist? Zum Beispiel Vergesslichkeit und Orientierungslosigkeit. Das geht nicht, indem ich einfach einen alten Menschen zeige. Zudem spiele der Fokus der Geschichte eine Rolle: „Das kann Aktualität sein, wenn etwa ein neues Medikament entwickelt wurde. Oder stehen die Angehörigen oder das Pflegepersonal, eine Einrichtung oder eine betroffene Person im Mittelpunkt? Oder vielleicht wissenschaftliche Erkenntnisse?“, fragte sie. Auch für Armin Smailovic sind Demenz oder Mental Health visuell so gut wie gar nicht darzustellen. In bestimmten Zusammenhängen könnte Demenz in Räumen, Institutionen oder auch körpersprachlich verbildlicht werden. 

Grundsätzlich wollen wir die Interessen unserer Leserinnen bedienen. Sie erwarten, dass wir ihnen möglichst schnell und verständlich zeigen, worum es geht. Wir wissen, dass die Leute meist das Bild zuerst anschauen, dann die Schlagzeile, den Untertitel und im besten Fall fangen sie dann an zu lesen. Und das bis zum Schluss. Das ist das Ziel. Folglich dürfen Bilder nicht langweilig und nicht alltäglich sein.“ 

Andreas Trampe

Eine Demenz sei kein Alleinstellungsmerkmal für schwierige Bildaufträge, so Trampe. „Psychische Erkrankungen wie z.B. Depressionen, Autismus, Schizophrenie, Angst- oder Persönlichkeitsstörungen, aber auch Krebs oder Multiple Sklerose sind nicht auf den ersten Blick sichtbar“. Es würden Stereotype verwendet, die den Inhalt des Artikels schneller transportieren sollen. „Meistens ist das falsch. Man muss kreativer herangehen und andere Lösungen suchen“. Dazu gehört beispielsweise ein inhaltlicher Bruch zwischen Überschrift und Bildaussage. „Das erzeugt Aufmerksamkeit und das Ganze kommt auch noch sehr emotional um die Ecke“. Seine Kollegin Jutta Schein unterstrich: „Ein Bild allein, insbesondere bei einem unsichtbaren Thema, kann nicht funktionieren“. Alternativ wird ein Mensch von hinten gezeigt. „Die anonymisierte Fotografie ist auch ein wichtiger Teil bei solchen Krankheitsbildern. In vielen Fällen können wir die Menschen ja gar nicht fragen“, so Schein. Wenn heute ein Bild in einer Zeitschrift veröffentlicht wird, dann erscheint es auch online und in Social Media. Viele Menschen seien nicht in der Lage, das zu erfassen, so Trampe. Hier gehe es auch um Verantwortung. „Daher müssen wir manchmal für sie mitdenken und über eine anonymisierte Form nachdenken, um Leute nicht erkennbar zu machen, aber trotzdem ein Gefühl und eine Situation zu vermitteln.“ Der Fotograf indes geht stets individuell vor und setzt auf die Interaktion mit seinem Gegenüber, erklärte Armin Smailovic. Alles sei im Kontext zu sehen: ein Bild, das alles zeigt, sowohl die Krankheit, die familiäre Umgebung oder den Partner. „Andererseits kommt es auch auf die Positivität des Momentes an“. Zugleich sind die Bilder in ein textliches Umfeld zu bringen. So wird klar und verständlich, was auf dem Bild geschieht. „Für all das braucht es Zeit. Es geht um feine Details, die man herausarbeitet, die vom Text aufgegriffen werden können, so dass die sogenannte Text-Bild-Schere greift“, berichtete der Profi.

Michael Gottschalk unterscheidet zwischen Fotografen, die Fotoillustrationen anfertigen, und denjenigen, die als Bildjournalisten tätig sind und Protagonisten zu einer ganz bestimmten Geschichte fotografieren. „Je nachdem sind die Bilder nicht für jede Bildnutzung in einem anderen Zusammenhang freigegeben. In dem Moment, in dem Persönlichkeitsrechte zu klären sind, wird es kompliziert und damit kostenintensiv.“ Viele Kunden nutzten daher Stockfotos und „verwenden irgendein Bild, das mit Demenz verschlagwortet ist“. Aus der Sicht Trampes gibt es jedoch auch preiswerte Fotos, die nicht Stereotype widerspiegeln und die sehr gut einzusetzen sind. „Meistens hapert es an der Idee, wenn es schlecht gemacht ist, und nicht am Geld“. Man müsse sich klarmachen, dass das Thema Demenz negativ konnotiert ist. In Vorurteilen stecke immer auch eine Spur Wahrheit: „In diesem Fall ist die Spur Wahrheit, dass es eine Erkrankung ist“. Es sei der Job eines Journalisten zu zeigen, was die Realität ist, so Trampe.

Ich frage mich, inwieweit auch Fotografen ‚blinde Flecken‘ haben. Ihnen fehlt die persönliche Erfahrung mit Demenz oder anderen Themenbereichen, die sie versuchen abzubilden. So werden Stereotype reproduziert.

Michael Gottschalk

Bei Themen, die besonders „heikel“ oder „sperrig“ seien, entscheiden Redaktionen auch, sie illustrieren zu lassen. „Eine Illustration ermöglicht etwas, was im Foto nicht direkt erkennbar ist. Und das sind meistens auch psychologische Momente“, erklärte Jutta Schein. Das betreffe zum Beispiel Aggressivität im Verhältnis zwischen Angehörigen und Dementen: „Mit einer Illustration kann man ein so schwieriges Thema anders und sensibler aufgreifen.“ Andreas Trampe sieht in Illustrationen „eine weitere Möglichkeit, Sachzusammenhänge intelligent und verständlich und überraschend zu präsentieren“. Fotos bilden dagegen die Realität ab. Illustrationen machten sofort deutlich, dass es nicht eins zu eins eine reale Alltagssituation ist.

Moderator Plemper gab zu bedenken: „Wir assoziieren Demenz oft mit Pflege und Medizin. Also wird auf klinische Bilder zurückgegriffen – mit einem Arzt im Interview, im weißen Kittel und einem Stethoskop um den Hals. Wenn die Umgebung erkennbar als medizinisches oder pflegerisches Umfeld wahrgenommen wird, muss man also nicht unbedingt den Menschen selbst darstellen, sondern diejenigen, die für sie sorgen. Das führt dazu, dass mit Symbolen gearbeitet wird." Fotograf Smailovic bezweifelte, ob es sinnvoll sei, Demenz oder psychische Krankheiten in krankenhausähnlichen Zusammenhängen darzustellen. „Damit wird man der Krankheit nicht gerecht, denn der Großteil der Menschen mit Demenz ist ja zu Hause mit der Familie außerhalb von geschlossenen Einrichtungen oder Krankenhäusern“, so Smailovic.

Es gibt ein gutes Leben mit Demenz. Keiner möchte die Krankheit haben. Aber wenn man sie hat, kann man trotzdem gut damit leben. Es ist wichtig, das darzustellen, was für einen Menschen mit Demenz noch normaler Alltag ist und nicht, was er vermutlich oder vermeintlich nicht mehr kann.

Burkhard Plemper, Soziologe und Journalist

Eine Teilnehmerin wünschte sich in der anschließenden Diskussion, Demenz zukünftig positiv darzustellen, damit Menschen sich leichter tun, sich damit zu befassen. Jutta Schein sieht auf jeden Fall die Möglichkeit, auch positive Aspekte wie Mitmenschlichkeit, Hilfsbereitschaft zu betonen. Ein anderer Teilnehmer fragte: „Haben Sie das Gefühl, dass das Thema Demenz allgemein gut beleuchtet ist und somit gut dargestellt werden kann?“ Michael Gottschalk macht generell ein Dunkelfeld aus: „Die Krankheit findet in Einrichtungen statt, im privaten Bereich und ist in weiten Teilen nicht sichtbar“. Zudem waren sich die Teilnehmer einig, dass es auch eine Generationen- bzw. Altersfrage ist. Armin Smailovic hält fest: „Es geht auch um die 35- und 45-Jährigen. Das sind die Kinder oder Nichten und Neffen aus der Umgebung der 60-plus-Betroffenen“.

Ich finde diese Medienpräsenz ganz wichtig, um Menschen an das Thema heranzuführen und sich eventuell möglichen Untersuchungen zu öffnen. Für sie ist eine positive Darstellung sicherlich hilfreich, um zu vermitteln, es ist jetzt nicht alles vorbei, nur weil nur weil jemand an Demenz erkrankt ist. 

Armin Smailovic

Aus dem Publikum angesprochen wurde auch das Problem der Nicht-Einwilligungsfähigkeit von an Demenz Betroffenen für Fotos, die in Bildagenturen verwendet werden. Zwar willigen Angehörige oder Betreuer ein. Wie kann man aber beeinflussen, dass die Bilder hinterher nicht in anderem Zusammenhang weiterverwendet werden. „Über einen Sperrvermerk kann man schon Einfluss nehmen“, weiß Armin Smailovic. Vor der Veröffentlichung solcherart gekennzeichneter Bilder ist mit dem Fotografen oder der Fotografin zu klären, in welchem Zusammenhang sie erscheinen sollen. Laut Jutta Schein fragen Redaktionen, die sogenannte Stockbilder verwenden, bei Agenturen nach, ob die Person damit einverstanden ist, in einem bestimmten Kontext gezeigt zu werden. Bei gezielten Fotoaufträgen ist es so, dass die Bilder im Nachhinein nicht noch mal als Symbolbilder mit einem ähnlichen Thema verwendet werden dürfen. Gottschalk ergänzt, dass das Persönlichkeitsrecht natürlich auch ohne Sperrvermerk gilt. „Jeder, der ein Bild veröffentlicht, muss klären, wer die abgebildete Person ist und ob eine Zustimmung vorliegt“. Trampe sieht zudem ein Problem darin, „dass mit immer weniger Menschen immer mehr Bilder bearbeitet, in Umlauf gebracht, verkauft, gedruckt und veröffentlicht werden sollen“. Außerdem seien immer mehr Menschen publizistisch tätig, die nicht ausgebildet seien.

Wir versuchen, in der Berichterstattung Mut zu machen – besonders den Angehörigen. Sowas geht mit einer positiven Bildsprache leichter.

Jutta Schein

Schließlich wurde die Frage aufgeworfen, ob es ethische Richtlinien für Bilder/Fotos brauche, an die Verlage sich halten. Fotograf Smailovic hat eine einfache Antwort: „‚Die Würde des Menschen ist unantastbar‘ gilt als oberstes Gebot, als Leitbild in Agenturen und Kollektiven“. Jutta Schein setzt auf Standards, wie mit betroffenen Privatpersonen umzugehen ist, deren Krankheit jedoch für etwas Allgemeines steht. „Zu unserer Arbeit gehört es, die Umstände des Bildes zu klären, z.B. ob es eine Model Release [Einverständniserklärung] gibt, ob es eine gestellte Situation oder ist es eine reale Situation ist“.

Aus dem Publikum kam die Überlegung, mit welcher Haltung Fotografen und Autoren das Thema angehen. Wenn betroffene Menschen von vornherein stereotyp als Opfer ihrer Situation und bemitleidenswert betrachtet würden, kann die Bildauswahl noch so sensibel sein: Die Würde wird dem Menschen mit Demenz oft schon vorab aberkannt. Das transportierten dann Text und Bild, in subtiler oder weniger subtiler Form. Moderator Plemper fasste zusammen: „In Text und Bild wird schnell klar: Das sind die anderen, die gehören nicht zu uns. Es gibt ein ausgrenzendes Moment“. Dazu Armin Smailovic: „Es gibt leider immer Fotografinnen und Fotografen, die aus der Reihe tanzen und ihre voyeuristischen Herangehensweisen umsetzen gegen alle ethischen und moralischen Maßstäbe“.

Am Schluss waren sich alle einig, dass sie sich mehr finanzielle und personelle Ressourcen für gesellschaftlich relevante Themen wie Demenz wünschen. Auch müssten die Verbraucher erkennen, dass gute Qualität ihren Preis hat. Insgesamt ist in den vergangenen Jahrzehnten eine Entwicklung in der Fotografie und in der Sensibilisierung für Persönlichkeitsrechte wahrzunehmen. „Wir haben schon einen sehr hohen Standard“, so Jutta Schein. Es wurde ein weiter Bogen geschlagen von den Bildern der Demenz, die wir im Kopf haben, über Stereotype, falsche Vorstellungen und den Medienmarkt bis hin zu den Möglichkeiten, über das Phänomen Demenz zu informieren, das Tabu zu brechen, zu verstehen und Verständnis zu fördern und Stigmatisierung und Isolation zu vermeiden.

Désirée von Bohlen und Halbach, Gründerin und erste Vorsitzende von Desideria, dankte Plenum und Moderator für ihr Engagement für die Sache: „Es sind viele Punkte angesprochen worden, die unserer Arbeit sehr entsprechen und warum wir auch den „Desideria Preis für Fotografie - Demenz-neu-sehen“ ins Leben gerufen haben“. Wichtig sei ihr, nicht nur das Drama zu zeigen, sondern auch positive Momente. Das gehe teils darüber hinaus, was Fotografie leisten kann. „Vielmehr wollen wir Menschen ermuntern, die Kamera in die Hand zu nehmen und solche Momente zu kreieren – für sich, für ihre Familien“. Desideria möchte den Menschen Mut machen, mit ihren Geschichten in die Öffentlichkeit zu gehen: „Bilder haben eine unheimliche Kraft und bleiben sehr lange im Gedächtnis“. Von Bohlen ist überzeugt, dass das Streben des Vereins, auf dieses Thema aufmerksam zu machen, durch das Medienpanel wieder einen Schritt weitergekommen ist. „Es gehören einfach ganz viele ins Boot!“

Veranstalter des Medienpanels ist der gemeinnützige Verein Desideria Care e.V., München, der 2024 zum zweiten Mal den „Desideria Preis für Fotografie – Demenz neu sehen“ ausschreibt. Gefördert wird die Veranstaltung von der Josef und Luise Kraft-Stiftung, München.

Über den „Desideria Preis für Fotografie – Demenz neu sehen“

Das Leben mit Demenz aus einer neuen Perspektive wahrnehmen: Dazu lädt der mit 10.000 Euro dotierte Fotowettbewerb „Demenz neu sehen“ ein. Profi-Fotografinnen und Fotografen, Nachwuchstalente und Amateure aus Deutschland und Österreich sind aufgerufen, mit ihrer Kamera besondere und ungewöhnliche Augenblicke aus dem Alltag mit Demenz einzufangen. Die Ausschreibung läuft bis zum 15. Juni 2024.

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Zur Aufzeichung des Medienpanels

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Weitere Informationen und Kontakt

Pressemitteilung

Medienpanel „Zum Vergessen! – Darstellung von Demenz in den Medien“

09.02.2024